Der heilige Franziskus war einige Zeit vor seinem Tod in der Stadt Siena. Dort wurde es mit seiner Gesundheit so schlecht, dass seine Brüder dachten: ”Er stirbt!”. Darum baten sie den Heiligen um ein „Andenken an seinen Willen”, um ein Testament. Und Franziskus ließ den Bruder Benedikt von Pirat rufen, der schreiben konnte, und diktierte ihm:
„Schreibe, dass ich alle meine Brüder segne, die im Orden sind und die kommen werden bis zum Ende der Welt…Weil ich wegen der Schwäche und der Schmerzen der Krankheit nicht sprechen kann, tue ich kurz in diesen drei Worten meinen Brüdern meinen Willen kund, nämlich: dass sie sich zum Zeichen des Gedenkens an mein Vermächtnis immer gegenseitig lieben; dass sie immer unsere heilige Herrin Armut lieben und beobachten sollen; und daß sie immer den Prälaten und Klerikern der heiligen Mutter Kirche treu und untergeben sein sollen.”
Drei Worte gibt Franziskus den Brüdern seines Ordens als Vermächtnis, die auch den Christen helfen können, die nicht zu diesem Orden gehören.
Erstens: Brüderliche Liebe
Brüderlichkeit, Liebe – Worte, die man schnell dahinsagt. Aber schon das erste Brüderpaar, das uns in der Bibel begegnet, tut sich schwer: Kein erschlägt seinen Bruder Abel – und redet sich mit der bis heute aktuellen Ausrede heraus: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?!”
Brüderlichkeit – Die Welt brauchte so viel, und hat
so wenig davon! Darum die neue Enzyklika von Papst Franziskus, die morgen veröffentlicht wird trägt den Titel „Brüderlichkeit”, „Alle Brüder”.
Der heilige Franziskus sieht nur eine Möglichkeit,
zu dieser Brüderlichkeit zu kommen – und die kennt er aus dem Evangelium. Er schafft in seiner Brüdergemeinschaft alle Herrschaftsstrukturen ab. Keiner soll Oberer sein! Keiner soll über seine Brüder herrschen. So nennt er seine vorgesetzten Brüder „Diener”! – und so soll man sie nicht nur nennen, sie sie sollen es auch sein!
Wie gut täte es unserer Welt, unserer Kirche, unserer Gemeinde, unseren Familien, wenn wir aus dieser Haltung leben würden: Keiner will den anderen beherrschen, einer will dem anderen dienen. Dann könnte man auch heute häufiger sagen: „Seht, wie sie einander lieben!”
Zweitens: Armut
Hierbei geht es nicht um eine Verherrlichung des Elends. Es geht vielmehr um eine Haltung der Anspruchslosigkeit, der Einfachheit, der Bescheidenheit derer, die haben, die haben könnten oder die haben möchten.
Wie oft ist „Haben”, „Haben wollen”, „Nicht haben” Ursache von Neid, Streit, Krach in Familien, Krieg zwischen Völkern!
Wie gut stände der Kirche, wie gut stände den Christen mehr Bescheidenheit, Einfachheit, Anspruchslosigkeit. Wieviel mehr könnten wir brüderlich leben, könnten wir das Vermächtnis „Liebt einander!” in die Tat umsetzen, wenn wir mehr bereit wären, die Dinge loszulassen, ärmer, bescheidener, anspruchsloser zu sein!
Drittens: Treue zur Kirche
Um Franziskus hier richtig zu verstehen, muss man durch den Vordergrund dieser Worte hindurchhören.
Was Franziskus lebte, radikale Armut, engagierte Brüderlichkeit, das war eine überdeutliche Kritik an der reichen und hochherrschaftlichen Kirche seiner Zeit. Diese Kritik teilten viele mit ihm. Es gab viele Bewegungen, die sogenannten Armutsbewegungen, die Kritik an der Kirche übten. Die brachten ihre Kritik aber nicht in der Kirche ein, sie trennten sich von der Kirche, lebten ihre Alternative außerhalb der Kirche.
Das wollte Franziskus nicht! Er wollte seine Kritik an der Kirche in der Kirche leben. Er wollte die Kirche nicht zersplittern, sondern erneuern! Denn diese Kirche in all ihrer menschlichen Begrenztheit und Schwachheit ist und bleibt für ihn die Gemeinschaft, die die frohe Botschaft von Christus durch die Geschichte trägt. Er braucht diese Kirche – und diese Kirche brauchte ihn!
Seine Worte sind ein leidenschaftliches Werben,
in der Kirche zu bleiben, sie von innen her zu erneuern.
Denn wie für Franziskus, so gilt auch noch heute:
Ich brauche die Kirche, und mag sie noch so viel Schwäche haben – und die Kirche braucht mich.
Nur so können wir das Vermächtnis Jesu erfüllen. „Bleibt in meiner Liebe!” Amen