Lernfähig?

Herr, lehre uns beten!

(Lk 11, 4)

Das Gebet ist eine der schönsten Dinge in diesem Leben! Du stehst fest auf dem Boden der Tatsachen, bringst deine Last, Sorge, deine Freuden und Hoffnungen, kurz: deinen Alltag aus Fleisch und Blut, aber zugleich greifst du in den Himmel, in die Liebe, die alles in dieser Welt übersteigt und in die Macht, vor der alles nur winzig und gefügig ist.

Es ist eine der höchsten Möglichkeiten des Menschen, über sich hinaus zu denken und die Fäden aus der Hand zu lassen, um eine beflügelnde Freiheit zu erlangen und einen Frieden in sich aufzunehmen, der nicht aus den sichtbaren Tatsachen herrührt, sodass er auch anhält, wenn die Tatsachen ungültig, bedrückend oder bedrohlich sich entwickeln sollten.

Diese Spitze des menschlichen Geistes kann nur langsam erreicht werden, und zwar aufbauend auf allem, was ich gelernt und erlebt habe. Das Beten ist zum Teil wie eine Freundschaft, zum Teil Abhängigkeit und Gehorsam und zum Teil Befähigung und Ermächtigung des eigenen Ichs. Da fließt alles zusammen: die Beziehungen, die Lebensausrichtung, die Ausdauer, die Erfolge, die Enttäuschungen, sogar die größten Katastrophen des Lebens, deine schlechteste Entscheidung sowie die größte Verletzung, ja, deine Traumata.
Dein Gebet ist wie dein Leben und dein Leben ist wie dein Beten! Du betest so wie du bist und du wirst langsam so, wie du betest!

Deswegen muss man das Beten genauso lernen wie ein gutes Leben: von den Autoritäten und aus eigenen Höhen und Tiefen. Vor allem aber in der aufmerksamen Beziehung zu Jesus, der uns das Gebet lehren will und kann. Er will es auf ein Niveau bringen, das wir aus uns selbst nicht erreichen können – das nennen wir Gnade. Das ist auch die Kehrseite des Betens: wir berühren den Himmel und gleichzeitig berührt der Himmel uns! Gott selbst wirkt durch seinen Geist in dir Dinge, Gedanken, Gefühle, Entscheidungen, die nicht aus dir sind und doch in der tiefsten Harmonie mit deinem einzigartigen Wesen! Wenn der in dir wirkt, der deinen Fingerabdruck einzigartig gemeißelt hat, weiß er auch am besten, was dir innerlich bzw. existenziell entspricht.

Deswegen dürfen und sollen wir ihn, wie seine Apostel bitten: lehre uns beten! Damit wir noch mehr bei uns ankommen: im Gebet und im Leben. Wenn wir das Beten bei Jesus lernen, werden wir aber auch ein Stück mehr wie er selbst: offen für den Himmel und ganz in der Welt, bei dem Menschen zugleich.